In der dynamischen Welt der Softwareentwicklung stehen Anforderungen im Mittelpunkt eines jeden Projekts. Erfolgreiche Projekte beruhen auf einem klaren Verständnis der Bedürfnisse und Erwartungen aller Beteiligten.
Der Mensch als Quelle dieser Anforderungen spielt dabei eine zentrale Rolle. Nicht selten bringen Menschen jedoch Unsicherheiten und Ängste in den Anforderungsprozess ein, was die Zusammenarbeit und das Ergebnis eines Projekts beeinflusst. Die drohende Veränderung und eine daraus resultierende Ungewissheit lässt Menschen oftmals abweisend dem Projekt gegenüberstehen.
Ein geschicktes Anforderungsmanagement kann diese Hindernisse überwinden, indem es die beteiligten Menschen ins Zentrum stellt und nicht als Störer sondern als Vermittler zwischen verschiedenen Interessen agiert.
Der Mensch als wichtigste Quelle
Typische Anforderungen an ein Projekt entstehen aus verschiedenen Quellen wie bestehenden Systemen oder Spezifikationen. Doch die wichtigste Quelle ist und bleibt der Mensch. Hierbei spielen drei Faktoren eine bedeutende Rolle:
Interessen am Projekt: Jede beteiligte Person verfolgt unterschiedliche Ziele und hat individuelle Erwartungen an das Projekt.
Rollen und Verantwortlichkeiten: Die persönliche Rolle und Verantwortung im Projekt beeinflusst, wie Anforderungen formuliert und interpretiert werden.
Kulturelle Hintergründe: Unterschiedliche kulturelle Erfahrungen und Perspektiven können die Art und Weise beeinflussen, wie Anforderungen wahrgenommen und kommuniziert werden.
Diese drei Faktoren zeigen, dass die Herausforderungen bei der Anforderungsaufnahme weit über technische Aspekte hinausgehen. Es sind die menschlichen Aspekte, die den entscheidenden Unterschied machen.
Unsicherheiten und Ängsten begegnen
Ein zentrales Hindernis im Anforderungsmanagement sind oft die Ängste der Beteiligten. Denn besonders bei der Veränderung von Arbeitsprozessen durch neue Softwarelösungen, werden alte Strukturen aufgebrochen und neue Aufgaben und Kompetenzen verteilt.
Die Beteiligten, die dadurch im ersten Moment teilweise unbequemen Auswirkungen ausgesetzt sind, können den Anforderungsprozess erheblich beeinflussen und Konflikte oder Verzögerungen verursachen. Es ist deshalb besonders wichtig zu verstehen, welche Ängste bei den Menschen vorliegen können und wie wir im Anforderungsmanagement diesen begegnen können.
Zu den häufigsten Ängsten zählen:
Angst vor Veränderung: Menschen haben oft die Befürchtung, etwas zu verlieren, sei es Kontrolle oder gewohnte Arbeitsweisen.
Angst vor der Notwendigkeit, sich festzulegen: Stakeholder zögern, Entscheidungen zu treffen, da sie sich nicht sicher sind, wie diese ihre zukünftige Arbeit beeinflussen.
Angst vor Isolation: In Gruppensituationen äußern sich einige Menschen nicht, aus Sorge, alleine zu stehen oder von der Gruppe isoliert zu werden.
Angst vor Unterwerfung: Manche ziehen es vor, autark zu arbeiten, um sich nicht in einer Gruppe auflösen zu müssen.
Diese Ängste beeinflussen, wie Anforderungen kommuniziert und umgesetzt werden. Indem sie frühzeitig erkannt und angesprochen werden, können Missverständnisse vermieden und klare Anforderungen formuliert werden.
Anforderungsmanagement in der Praxis
In einem praktischen Beispiel führten wir als Team der Anforderungsfabrik ein neues CRM-System ein. Dabei wurden alte Prozesse hinterfragt und neue Arbeitsweisen etabliert. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen und mit seinen Ängsten umzugehen.
Wir empfehlen folgende Schritte, um das Anforderungsmanagement erfolgreich zu gestalten:

Im Folgenden zeigen wir, wie wir die Schritte Ausrichten, Einbinden, Ermitteln, Dokumentieren und Managen im Praxisbeispiel erfolgreich einsetzten. Insbesondere möchten wir konkrete Empfehlungen geben, welche Methoden und Schwerpunkte wichtig sind, um auf die zuvor beschriebenen Ängste von Menschen einzugehen und so als Vermittler zu agieren.
1. Ausrichten: Zielsetzung und Erwartungsmanagement
Bei der Ausrichtung der Anforderungen war es entscheidend, die Ziele klar zu formulieren und die Erwartungen aller Beteiligten transparent zu kommunizieren. Menschen haben oft Angst vor Veränderung, weil sie befürchten, etwas zu verlieren. Um diese Angst zu mindern, haben wir die Vorteile der geplanten Veränderung betont und in den Kontext der bestehenden Situation gesetzt.
Es war unerlässlich, den Beteiligten das Gefühl zu geben, dass ihre bisherigen Erfahrungen und Kenntnisse in den Prozess integriert werden und nicht verloren gehen. So entstand Vertrauen und die Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren.
2. Einbinden: Aus Betroffenen Beteiligte machen
Das Einbinden von Stakeholdern war besonders wichtig, um die Angst vor Selbstwerden (alleine zu sein) und Selbsthingabe (unterzugehen) zu überwinden. Hierbei haben wir besonderen Wert darauf gelegt, dass sich die Stakeholder als Teil eines Teams verstehen, in dem sie Unterstützung erhalten.
Regelmäßige von uns durchgeführte Workshops oder persönliche Treffen förderten den Austausch und das gegenseitige Kennenlernen, was die Angst der Beteiligten, alleine zu handeln oder nicht gehört zu werden, reduzierte. Zudem nahmen wir ihre Bedenken und Ängste ernst, um ihnen zu zeigen, dass ihre Perspektive wichtig ist.
3. Ermitteln: Anforderungen durch aktives Stakeholder-Engagement sammeln
Beim Ermitteln von Anforderungen stehen häufig die Ängste im Vordergrund, sich festzulegen (Angst vor Notwendigkeit) oder Expertenwissen preiszugeben (Angst etwas zu verlieren). Hier war es hilfreich, iterative Techniken wie Mockups oder agile Methoden einzusetzen, um den Stakeholdern die Möglichkeit zu geben, Anforderungen schrittweise zu konkretisieren, ohne sich endgültig festzulegen.
Zudem betonten wir, dass Anforderungen jederzeit angepasst werden können, um die Angst vor Fehlentscheidungen zu mindern. Ein offenes Umfeld, in dem Expertenwissen wertgeschätzt und vertraulich behandelt wird, trägt dazu bei, dass sich Stakeholder sicher fühlen.
4. Dokumentieren: Anforderungen klar und nachvollziehbar festhalten
Beim Dokumentieren der Anforderungen war es uns besonders wichtig die Angst vor Selbsthingabe (unterzugehen) zu berücksichtigen. Um sicherzustellen, dass alle Beteiligten sich in den Ergebnissen wiederfinden und nicht das Gefühl haben, übergangen zu werden, war es entscheidend, klare und verständliche Dokumente zu erstellen. Diese erarbeiteten wir gemeinsam mit den Stakeholdern und überprüften sie regelmäßig.
Durch visuelle Hilfsmittel wie Use-Case-Diagramme, Story Maps und User Stories schafften wir Transparenz, und die Stakeholder konnten jederzeit nachvollziehen, wie ihre Beiträge in die Gesamtanforderungen einflossen.
5. Managen: Den gesamten Prozess steuern und Ängste aktiv adressieren
Beim Managen des Anforderungsprozesses achteten wir besonders darauf, die Kommunikation zwischen allen Beteiligten aufrechtzuerhalten, um Missverständnisse und Unsicherheiten zu vermeiden. Die Angst vor Veränderung minderten wir durch regelmäßige Updates über den Fortschritt des Projekts und die damit verbundenen Vorteile.
Wichtig war, dass alle Änderungen transparent kommuniziert und die Auswirkungen auf das Projekt verständlich dargestellt wurden. Zudem förderten wir die Motivation der Stakeholder, indem ihre individuellen Beiträge anerkannt und in den größeren Projektkontext eingebunden wurden. Dies reduzierte die Angst vor Selbstwerden und stärkte das Gemeinschaftsgefühl.
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Fazit
Der Mensch steht im Zentrum jedes erfolgreichen Anforderungsmanagements. Es sind nicht allein die technischen Methoden oder Werkzeuge, die den Unterschied machen, sondern die Art und Weise, wie mit den beteiligten Menschen umgegangen wird. Indem man die Ängste und Bedürfnisse der Stakeholder versteht und ihre individuellen Perspektiven einbezieht, kann man Anforderungen klarer definieren und den Erfolg eines Projekts sicherstellen.
Das Ziel eines erfolgreichen Anforderungsmanagements ist es, sich als „Störer“ zu begreifen und zum „Vermittler“ zu machen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die verschiedenen Interessen in Einklang gebracht und die Anforderungen zielführend umgesetzt werden.