Leitfaden zum Finden einer passenden Traceability-Strategie
„Wir hatten doch dazu schon eine Entscheidung getroffen, oder?“, „Wurde diese Funktion denn schon implementiert?“, „Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was wir dazu besprochen hatten. Weiß das noch jemand?“ – Über diese und ähnliche Fragen stolpert man regelmäßig im Projekttag. In den meisten Situationen kann hier eine angemessene Traceability-Strategie aushelfen.
Was ist Verfolgbarkeit (Traceability)?
Traceability bezeichnet die Fähigkeit Anforderungen zu allen vorangegangenen und aufbauenden Informationen nachvollziehen zu können. Hierbei wird zwischen zwei Typen von Traceability unterschieden:
- Pre-Requirements Specification Traceability: Die Fähigkeit zwischen Anforderungen und ihrem Ursprung zu verfolgen, bspw. zwischen Anforderungen und den Kundeneinbezügen aus denen diese abgeleitet wurden.
- Post-Requirements Specification Traceability: Die Fähigkeit zwischen Anforderungen und späteren Entwicklungsartefakten zu verfolgen, bspw. zwischen Anforderungen und Testfällen.
Zwischen folgenden Informationen/Artefakten könnte getraced werden:
Horizontale-Traceability: Verfolgbarkeit zwischen Anforderungen auf derselben Detailebene
Vertikale-Traceability: Verfolgbarkeit zwischen Anforderungen auf unterschiedlichen Detailebenen
Verfolgbarkeit zwischen unterschiedlichen Versionen von Anforderungen
Post-Requirements Specification Traceability: Verfolgbarkeit von Anforderungen zu aufbauenden Entwicklungsartefakten (bspw. Source Code, Testfälle, etc.)
Pre-Requirements Specification Traceability: Verfolgbarkeit von Anforderungen zu vorgelagerten Artefakten (bspw. Kundeneinbezüge, Entscheidungen, Gesetzgebungen, etc.)
Trace-Links
Um Traceability umzusetzen, müssen Artefakte miteinander verknüpft werden. Dies kann auf implizite Weise erfolgen – etwa durch Namenskonventionen, Dokumentstrukturen oder einheitlich definierte Begriffe. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer expliziten Verknüpfung von Artefakten über sogenannte Trace-Links. Dabei handelt es sich beispielsweise um Hyperlinks, Referenzen auf IDs oder Traceability-Matrizen.
Wer braucht Traceability?
Insbesondere sicherheitskritische Projekte sind verpflichtet, Traceability sicherzustellen – etwa um jederzeit nachweisen zu können, dass relevante Standards korrekt umgesetzt wurden. Doch auch andere Projekttypen können in unterschiedlichem Maße von Traceability profitieren:
Agile Projekte mit häufigem und regelmäßigem Einbezug der Stakeholder/Kunden: Diese Projekte verzichten häufig auf eine umfangreiche Dokumentation von Trace-Links, da diese aufgrund der engen Zusammenarbeit mit den Stakeholdern/Kunden nicht nötig ist.
Agile Projekte mit Einbezug der Stakeholder/Kunden nur zu bestimmten Zeitpunkten/Meilensteinen: Bereits nach wenigen Wochen ist es schwierig sich noch genau zu erinnern, was der Kunde wollte, oder was sich die Stakeholder genau gewünscht haben. Hier ist es wichtig Traceability zu diesen Informationen sicherstellen zu können.
Zuliefererprojekte: Sofern sie nicht ausdrücklich vom Auftraggeber dazu verpflichtet sind, Traceability sicherzustellen, werden hier Trace-Informationen häufig nur ungern weitergegeben – etwa, um eigene Quellen oder Zulieferer nicht offenzulegen.
Projekte als Basis für weitere Projekte: Hier sind besonders Projekte zu erwähnen, welche das Ziel haben einen neuen Standard oder eine zukünftige Strategie zu entwickeln. Traceability ermöglicht diesen einen transparenten Erstellungsprozess zu dokumentieren, um auch zukünftig zwischen der Datenbasis und der Interpretationsebene einer Anforderung unterscheiden zu können.
Unabhängig von der Projektart kann auch jeder Einzelne in einem Projekt einen Nutzen von Traceability haben. Ein Produkt Owner weiß somit beispielsweise welche Kunden sich ein bestimmtes Feature gewünscht haben oder ein UI Designer kann dank vergangener Entscheidungen einen neuen Entwurf für eine Nutzeroberfläche entwickeln.
Wie etablieren Sie eine Traceability-Strategie?
Wie im Requirements Engineering allgemein gilt auch für die Traceability: Es gibt kein „One-Size-Fits-All“-Vorgehen, denn jedes Projekt bringt individuelle Anforderungen mit sich. Im Folgenden stellen wir Ihnen einen Ansatz vor, der dabei hilft, eine passende Traceability-Strategie zu entwickeln.
Kontext des Vorgehens
Dieses Vorgehen sollte regelmäßig durchführt werden, um die Strategie bei Bedarf anzupassen.
Bei diesem Vorgehen sollten alle Projektteammitglieder:innen beteiligt sein, um eine Strategie zu entwickeln, die für alle funktioniert und um ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.
Für die Durchführung eignet sich ein digitales oder analoges Whiteboard. Hier finden Sie einen Link zu einem Miro Board, welches Sie als Basis kopieren können.
1. Phase: Identifikation von benötigten Informationen und deren Verlinkung
Die folgenden Fragen sollten von jeder Person individuell beantwortet werden. Planen Sie dafür zunächst etwa 20 Minuten ein, in denen alle Projektbeteiligten ihre Antworten – zum Beispiel mithilfe von Stickynotes – festhalten. Das Ergebnis dieser Phase ist idealerweise eine Sammlung von Stickynotes zu jeder der folgenden Fragen.
Problemanalyse:
Was für Informationen haben Sie im Laufe des Projektes bisher vermisst?
Welche Informationen waren bisher (zu) zeitaufwendig zu bekommen?
Welche Informationen haben Sie bisher dokumentiert, aber diese hatten für Sie keinen Nutzen?
Wunsch:
Welche Informationen benötigen Sie, um Ihre Aufgaben optimal erfüllen zu können?
2. Phase: Entwicklung einer Traceability-Strategie
In dieser Phase wird auf den Antworten aus der ersten Phase aufgebaut, indem durch alle Antworten gegangen wird. Das Resultat könnte eine tabellarische Darstellung (siehe Beispiel unten) von Informationen und der Verlinkung dieser sein. Diese Darstellung sollte in zukünftigen Sitzungen erweitert und überarbeitet werden.
Statusanalyse:
Welche Informationen sollen zukünftig dokumentiert/verlinkt werden?
Welches Tool wird für die Dokumentation/Verlinkung verwendet?
Wer ist für die Dokumentation/Verlinkung zuständig?
Die nachfolgende Abbildung zeigt ein Beispiel wie ein Trace-Link dokumentiert werden sollte auf Basis des Miro Templates:

Im Kontext von IREB
Das beschriebene Vorgehen fokussiert sich auf die Artefakte, die verfolgt werden sollen und wie sie miteinander verknüpft sind. Wenn darüber hinaus mehr Details benötigt werden, wie beispielsweise die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Trace-Link-Typen, dann empfehlen wir das umfangreichere Vorgehen aus dem IREB-Handbuch für Requirements Management.
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