Durch die Anforderung, schneller auf den Technologiewandel und die Bedürfnisse des Marktes reagieren zu können, sind agile Ansätze bereits in vielen Unternehmen implementiert. Doch immernoch stellt es die Unternehmen vor eine enorme Herausforderung. Einen standardisierten Umgang mit dieser Herausforderung gibt es nicht. Trotzdem sollten sich Unternehmen mit den Veränderungen befassen und diese als Chance sehen, ihr Unternehmen zukunftsfähig aufzubauen.
Der Kern des Wandels
Bevor neue agile Methoden und Tools eingeführt werden, um auf veränderte Rahmenbedingungen besser reagieren zu können, ist eine genaue Analyse der tatsächlichen Wandelthemen notwendig. Begründungen, wie “Die Welt wird digitaler” oder “Die Globalisierung nimmt zu”, mögen zwar die Ursache für Wandel sein – aber welche Auswirkungen gehen damit tatsächlich einher? Was beeinflusst das eigene Unternehmen und was der wichtigsten Akteure (häufig der Kunde)? Was ist heute anders als gestern und wird morgen anders sein als heute? Und wie reagieren wir als Unternehmen darauf? Welche Attribute und Eigenschaften benötigen wir, um die Zukunftsfähigkeit weiter zu erhöhen? Sollten Geschwindigkeit und Komplexität von Veränderungen ansteigen, kann der Einsatz von agilen Arbeitsmethoden hilfreich sein – aber nur wenn sie richtig umgesetzt werden.
Agilität ist kein Fremdwort mehr
Tatsächliche haben agile Ansätze in den letzten zehn Jahren auch außerhalb der Software-Entwicklung sehr dynamisch an Bedeutung gewonnen. So finden sich heute viele agile Ansätze in Projekten außerhalb der IT wieder, wie zum Beispiel im Marketing oder in der Strategie- und Organisationsentwicklung. Die Vorteile, die für den Einsatz von agilen Methoden genannt werden, sind die Verbesserungen der Produkteinführungszeiten (56%) oder die Optimierung der Qualität (34%). Bemerkenswert ist auch, dass die Reduzierung von Risiken im Projekt mit 38% bereits als dritter Grund genannt wird, agile Ansätze zu nutzen. Diese Erkenntnisse entstammen der aktuellen Studie „Status-Quo-Agile 2020“ der Hochschule Koblenz – Mehrfachauswahl möglich [SQA2020]. Die Studie wird bereits seit zehn Jahren durchgeführt und zeigt die Entwicklung von klassischen Methoden hin zu agilen Projektmethoden.
Hybride Systeme dominieren in der Praxis
Aber Vorsicht – so schön die neue agile Welt auch sein kann, so schwer tun sich viele Unternehmen damit, agile Methoden nach Lehrbuch einzuführen. Eine Transformation bedeutet nicht unbedingt die „Zwangs-Agilisierung“ aller handelnden Unternehmenseinheiten. Ganz im Gegenteil, so werden eher Vorbehalte und Widerstände geschürt. Deshalb nutzen in der Praxis häufig nur einige Teams agile Methoden oder sie werden selektiv für bestimmte Projekte oder Projektphasen eingesetzt. Der Anteil dieser hybriden Varianten liegt bei immerhin 71% [SQA2020]. Als Begründung für diese Transformation in kleinen Schritten werden die schwierigen Rahmenbedingungen der Unternehmen genannt, sowie die Überforderung der Führungskräfte. So tasten sich viele Unternehmen zaghaft an das Thema heran und machen auch schmerzhafte Erfahrungen.
Agile Teams oder agile Rituale
Mit 84% ist Scrum der meistgenutzte agile Ansatz, gefolgt von Kanban, DevOps, Lean-Management und Design-Thinking [SQA2020]. Seminare und Workshops zu diesen Methoden werden zahlreich angeboten und Unternehmen machen Gebrauch davon; sie schicken Ihre Mitarbeiter dorthin. Leider erleben wir immer wieder hoch motivierte Teilnehmer, die voller Inspiration das Gelernte in Ihren Unternehmen umsetzen wollen und schnell an ihre Grenzen stoßen. Denn das System “Unternehmen” lässt häufig gar nicht zu, dass die Methoden wie angedacht umgesetzt werden können. So kommt es vielfach nur zur Minimalnutzung des Gelernten. Häufig ist das der Einsatz der zahlreichen Rituale. So werden immer mehr Dailys, Review-Meetings und Retrospektiven irgendwie in den Unternehmen umgesetzt, die erwarteten Ergebnisse bleiben allerdings aus – Hauptsache man ist jetzt agil! Unter vorgehaltener Hand geben viele Mitarbeiter zu, genervt zu sein und können das Wort Agilität schon nicht mehr hören.
Agilität braucht die Entwicklung der Organisation
Für Unternehmen, die sich mit der Einführung von agilen Ansätzen befassen, ist neben der Umsetzung der oben genannten agilen Methoden auch eine begleitende Organisations- und Managemententwicklung erforderlich.
Agile Vorhaben sind gekennzeichnet durch eindeutige Werte und Prinzipien, die insbesondere dafür gedacht sind, dass Teams selbst organisiert arbeiten können. Dieser Ansatz kollidiert aber häufig mit den hierarchischen Strukturen vieler Organisationen. In diesem Zusammenhang sollte eine Reihe von Fragen geklärt werden:
Welche Wandelthemen beschäftigen uns?
Welche Vorhaben ergeben sich daraus?
Wo machen agile Praktiken Sinn und wo nicht?
Was bedeutet Selbstorganisation für unser Unternehmen?
Welche organisatorischen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig?
Welche Auswirkungen hat das auf bisherige Prozesse, wie z. B. Entscheidungsfindung?
Wie entwickeln wir unsere Führungsteam weiter – „vom Manager zum Leader“?
Wie gehen wir um mit verschiedenen Umsetzungsteams und hybriden Mischformen?
Jedes Vorhaben braucht klare Strukturen – Insbesondere die agil umzusetzenden
Vorhaben brauchen gewisse Strukturen, damit sie erfolgreich umgesetzt werden können. Die Standish-Group veröffentlicht in Ihrem regelmäßig erscheinende Chaos-Report [CR2019] die Erfolgsquoten von Projekten. Im Hinblick auf die Erfüllung der Zielsetzung (Scope), des Budgets und der Einhaltung der Zeitvorgaben erreichen nur 26% aller klassischen Projekte diese Vorgaben, bei agilen sieht es mit 42% deutlich besser aus. Nach wie vor gibt es aber auch eine hohe Abbruchquote. Zu denen gehören auch Projekte, die zwar zu Ende gebrachte wurden, aber in der Praxis nicht genutzt werden. Bei klassischer Umsetzung betrifft das jedes fünfte Projekt. Bei agiler Umsetzung sind es immerhin noch knapp jedes zehnte Vorhaben – was für eine Verschwendung!
Egal ob agil oder klassisch umgesetztes Vorhaben – ein gutes Ergebnis wird erzielt, wenn mindestens die folgenden Bedingungen erfüllt werden:
Bei mehreren Vorhaben erfolgt das Zusammenspiel entlang der Wertschöpfung.
Der Kundenbedarf / Projektnutzen ist Team-übergreifend verstanden und für alle Beteiligten prägnant formuliert.
Der Rahmen und Umfang (Scope), in dem sich die Teams bewegen, ist klar abgegrenzt.
Die Stakeholder (Beteiligte und Interessenvertreter) sind bekannt und werden kontinuierlich (und angepasst an das inkrementelle Vorgehen) informiert und eingebunden.
Die Anforderungen sind ermittelt und für alle Beteiligten klar.
Entscheidungen sind transparent, Dokumentationsrichtlinien mit Qualitätskriterien liegen vor und werden eingehalten.
Das Vorhaben wird angemessen gesteuert, Mitarbeiter und Stakeholder sind motiviert.
Umgang mit hybriden Organisationen
Da in der Realität die Mischformen am häufigsten vorkommen, stellt sich die Frage, wie das Zusammenspiel von verschiedenen Teams sichergestellt werden kann. Die entweder über mehrere Vorhaben hinweg kooperieren müssen oder in enger Abstimmung zwischen Umsetzungsteam und Linienorganisation. Unterschiedliche Arbeitsweisen, Mentalitäten und Geschwindigkeiten müssen zusammengebracht werden. Wir empfehlen eine Synchronisation über die Strategie und deren Ziele, die mittelfristigen Teilziele und deren Koordination und die Umsetzung über die Teams. So ergeben sich drei Abstraktionsebenen:
1. Strategie und Portfoliomanagement
Auf der ersten Ebene der Strategie und des Portfoliomanagements geht es darum, zu definieren, was die richtigen Umsetzungsthemen sind. Die folgenden Fragestellungen sollten hier vorher beantwortet werden:
Was ist unsere Vision, an der wir all unser Handeln ausrichten?
Was sind die Ziele, die uns als Organisation zusammenhalten und eine Richtung geben?
Haben wir ein gemeinsames Verständnis, worum es geht und welchen Wert liefert es uns?
In welcher Reihenfolge wollen wir was angehen, um den geschaffenen Wert für das Unternehmen zu maximieren?
Kann der Bedarf in sinnvolle Teilziele (Inkremente) zerlegt werden, um früh ersten Wert zu generieren?
Mit welcher Vorgehensweise, klassisch oder agil, kann das Vorhaben am sinnvollsten umgesetzt werden?
2. Mittelfristige Perspektive und Koordination
Wenn klar ist, welche Vorhaben warum und in welcher Reihenfolge umgesetzt werden sollen, müssen wir das Verständnis über diese vertiefen, bewerten und die Umsetzung abstimmen. Strategische und umsetzende Ebene treffen hier zur gemeinsamen Ausrichtung zusammen. Die folgenden Fragestellungen sind hier wichtig:
Auf einer groben Abstraktion müssen Maßnahmen definiert, priorisiert und den entsprechenden Teams zugeordnet werden.
Welche Einheiten sind daran beteiligt?
Wie kann die Umsetzung so strukturiert werden, dass die Einheiten möglichst autonom operieren können?
Wie erfolgt die Abstimmung, wenn dies nicht zu 100% möglich ist?
Wie und wann werden aufgelöste Abhängigkeiten wieder zusammengeführt?
Wie erfolgt generell die Integration der Arbeit aller Einheiten?
Das Ergebnis kann zum Beispiel eine synchronisierte Release- oder Meilensteinplanung sein.
3. Umsetzung
Jede Einheit soll möglichst autonom – d. h. selbstorganisiert und unabhängig – von anderen arbeiten können. Das bedeutet, dass die operierende Einheit seine Rollen und seinen Ablauf selbst bestimmt. Aber auch die Ausgestaltung der konkreten Problemlösung obliegt ihr. Die operierende Einheit ist selbstorganisiert – aber nicht losgelöst. Zusätzlich gibt es regelmäßige Synchronisationspunkte auf die hingearbeitet wird – immer unter Berücksichtigung der Vision und der Ziele der Organisation.
Die Wurzeln der Anforderungsfabrik liegen im klassischen Anforderungsmanagement. Wir beraten Unternehmen dabei, ihre Vorhaben so aufzusetzen und zu managen, dass sie erfolgreich umgesetzt werden können.
Anforderungsfabrik – Umgang mit hybriden Entwicklungsteams (docsapproach.com)
Fazit
Durch oberflächliche Einführungen von agilen Methoden in Unternehmen kann es zu viel Unzufriedenheit bei Mitarbeitern und Führungskräften kommen. Denken Sie immer daran, Ihre bestehende Expertise und bewährten Prozesse da zu erhalten, wo sie Sinn machen und gezielt agile Praktiken damit zu verknüpfen. Agile Methoden richtig umgesetzt bieten dann ein enormes Potential. Teams erhöhen den Grad Ihrer Eigenorganisation und konzentrieren sich auf die Entwicklung wertvoller (Teil-) Produkte, die auf Unternehmensziele einzahlen. Es entwicklen sich wünschenswerte Eigenschaften und Attribute, wie Eigenverantwortung, Reduzierung von Verschwendung, Transparenz, Offenheit, Teamfähigkeit und Leistungsbereitschaft. So machen Sie den Weg frei für die Steigerung Ihrer Zukunftsfähigkeit!
Über den Autor
Bernd Austinat ist Berater und Systemischer Coach mit dem Schwerpunkt auf der Organisationsentwicklung.
Basierend auf der Wunschvorstellung der Unternehmen erarbeitet er ein individuelles Entwicklungs-Programm, welches moderne Attribute in den Fokus stellt. Durch iterative Entwicklungsschritte wird dabei sichergestellt, dass Manager und Mitarbeiter den Wandel erleben, verstehen und begleiten wollen.
Darüber hinaus ist er als Trainer und Coach rund um das Thema Team- und Leadershipentwicklung tätig.
Anforderungsvermittler / Managing Consultant
Bernd Austinat ist Berater und Systemischer Coach mit dem Schwerpunkt auf der Organisationsentwicklung.
Basierend auf der Wunschvorstellung der Unternehmen erarbeitet er ein individuelles Entwicklungs-Programm, welches moderne Attribute in den Fokus stellt. Durch iterative Entwicklungsschritte wird dabei sichergestellt, dass Manager und Mitarbeiter den Wandel erleben, verstehen und begleiten wollen.
Darüber hinaus ist er als Trainer und Coach rund um das Thema Team- und Leadershipentwicklung tätig.
Anforderungsvermittler / Managing Consultant
[SQA2020] = Status-Quo-Agile 2020 der Hochschule Koblenz
[CR2019] = Chaos Report 2019 der Standish Group, https://www.standishgroup.com