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Unser Blog erscheint regelmäßig mit neuen Beiträgen aus den Themenbereichen der Anforderungsvermittlung und agilen Skalierung.

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Agile Leadership – Warum das traditionelle Management vor großen Herausforderungen steht

Agile Leadership

Gerade das Management, welches häufig über viel Branchenerfahrung verfügt, sehr gut vernetzt ist und Prozesse und Strukturen kennt, kann der Multiplikator für erfolgreiche Veränderungen im Unternehmen sein. Dafür ist allerdings das richtige Verständnis von Leadership entscheidend. Dieser Blogbeitrag zeigt auf,

  • wie sich Einflussfaktoren auf Teams und das Management verändert haben,
  • welche Haltung und Werte gelebt werden sollten, damit sich die Teams auf ihre Arbeit fokussieren können und
  • mit welcher Entwicklung das Management (in Zukunft Leader) einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der neuen Arbeitsweise leistet.

 

Wir unterstützen zahlreiche Unternehmen bei ihren “digitalen” Entwicklungsvorhaben. Aufgrund der zunehmenden unklaren Anforderungen und der nicht immer am Anfang eindeutigen technischen Realisierung der Lösung, entscheiden sich immer mehr Unternehmen dazu, ihre Vorhaben in agilen Frameworks zu realisieren. Einer der Vorteile liegt in der schnellen Umsetzung von sogenannten Inkrementen (erste Teilprodukte oder Ergebnisse), die einen Wert für die Stakeholder, häufig die Kunden, haben müssen. Zudem können anhand des Inkrements neue oder angepasste Anforderungen gut abgeleitet werden.

Grau hinterlegte Anführungszeichen

Ein Kunde weiß erst, was er möchte, wenn er sieht, was er bekommt.

Jesko Schneider
Gründer und GF der Anforderungsfabrik

Die Besonderheit der agilen Arbeitsweise, wie z. B. Scrum oder Safe (für Vorhaben mit mehreren Entwicklungsteams) – liegt zum einen an den gelebten Werten und Prinzipien als auch an einem klar vorgegebenen Framework. Einer der wesentlichen Merkmale dieser Frameworks ist die Selbstorganisation von Entwicklungsteams und weiteren beteiligten Rollen.

Richtig gelesen, es gibt keinen Projektleiter oder Chef, der bestimmt, wie etwas umgesetzt werden soll. Die Aufgaben und Verantwortungen werden zwar im Framework beschrieben, die Umsetzung erfolgt aber selbstorganisiert in den Teams. Oder besser gesagt, sollte dort erfolgen.

Denn jetzt kommen die Konflikte ins Spiel, die wir immer wieder erleben und die eng mit der Historie und der Kultur eines Unternehmens zusammenhängen. Fast alle Konzerne, die wir unterstützen, sind bereits mehrere Jahrzehnte am Markt – und das erfolgreich! Ansonsten gäbe es sie nicht mehr und würden sich auch nicht mit Digitalisierungsvorhaben beschäftigen, um sich neu auf die Zukunft auszurichten.

Die meisten Unternehmen mit einer langen Historie sind allerdings immer noch sehr traditionell strukturiert, mit einer typischen Organisationsstruktur in Form einer Pyramide. Ganz oben der Chef, Vorstand oder CEO, je nach Unternehmensform, gefolgt vom Management und den Mitarbeitern. Diese Struktur hat sich in mehr als 100 Jahren gebildet und verfestigt. Die nachfolgende Abbildung aus dem Buch “Das kollegial geführte Unternehmen”, von Bernd Österreich, zeigt anhand der Taylorwanne auf, wie sich die Arbeitswelt entwickelt hat.

Taylorwanne, kausale und komplexe Anteile im Markt über Zeit

Vgl.: Gerhard Wohland, erweitert von Bernd Österreich – Aus dem Buch: Das kollegial geführte Unternehmen

Traditionelles Management, ein Überbleibsel des Taylorismus?

Ein kleiner Ausflug ins 19. Jahrhundert: Vor der Industrialisierung war für die Erstellung von Produkten das Können von Meistern und Gesellen im Handwerk und in Manufakturen am wichtigsten – Menschen standen im Fokus der Wertschöpfung.

Mit der Elektrifizierung und der Erfindung des Fließbandes ändert sich die Arbeitswelt radikal. Maschinen geben nun den Takt vor und ungelernte Menschen haben sich dieser Arbeitsweise anzupassen. Mit immer ausgefeilteren Prozessen wird die Fertigung optimiert, Menschen sind in diesem System “Produktionsfaktoren” und einfach auszutauschen. Sinnbildlich steht für diese Zeit Charlie Chaplin im Film „Moderne Zeiten“ wie er versucht, im Takt der Maschinen mitzuhalten.

Nach Frederick Winslow Taylor (1856 – 1915) wird diese Phase in der Arbeitswelt auch Taylorismus genannt. Es waren nur wenige ausgebildete Menschen notwendig, die als Wissensarbeiter die Systeme weiterentwickelt haben.

Grau hinterlegte Anführungszeichen

Oben wird gedacht, unten wird gemacht.

Frederick Winslow Taylor

Und heute?

Wir sind, wie niemals zuvor, im Zeitalter der Wissensarbeit, der Kreativität und der Kollaboration angekommen. Mit einer großen Bandbreite an Kompetenzen können Mitarbeiter heute unterschiedlichste Rollen ausfüllen. Je nach Aufgabenstellung finden sie sich zu Teams zusammen und erarbeiten Lösungsstrategien. Schon wieder ist es wichtig zu wissen, WER was kann.

Stacey_AgileMatrix (Stacey Matrix Diagramm zur Darstellung der Projekt Komplexität mit Quadranten simpel, kompliziert, komplex und chaotisch)

Wir stehen vor neuen Herausforderungen, wie in der oben gezeigten Stacey Matrix gut zu erkennen ist. Denn je unklarer die Anforderungen sind sowie die Technologien und Methoden, die für die Realisierung der Lösung notwendig sind, desto mehr entfernen wir uns vom einfachen oder komplizierten hin zu komplexen oder sogar chaotischen Systemen. Im Unterschied zur einfachen oder auch komplizierten Welt, in der es häufig die eine Entscheidung für eine richtige Lösung gibt, die zudem von Einzelnen getroffen werden kann, verhält es sich in der komplexen und chaotischen Welt deutlich schwieriger. Denn dort gibt es viele unbekannte Faktoren, die sich auch noch gegenseitig beeinflussen und damit auch wieder verändern können. Zudem ist die Anzahl der Faktoren häufig unbekannt. In komplexen Umfeldern gibt es nicht die eine vorhersehbare richtige Lösung.

Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre Arbeitsweise den veränderten Rahmenbedingungen, die sich aus technologischer oder gesellschaftlicher Entwicklung ergeben, anzupassen. Und wann immer die Anforderungen uneindeutig sind oder die Technologien/Methoden für die Umsetzung, bietet es sich an, in kleinen Schritten (Iterationen) einen möglichen Lösungsweg einzuschlagen. Wie bereits erwähnt, die eine richtige Lösung gibt es im komplexen Umfeld nicht!

Wichtig bei dieser Vorgehensweise ist es, viele “relevante” Perspektiven zu berücksichtigen und offen dafür zu sein, die (Teil-)Ergebnisse zu analysieren, um dadurch zu lernen und weitere Schritte daraus ableiten zu können. In agilen Frameworks werden die erarbeiteten Teilergebnisse in sogenannten Reviews mit allen relevanten Stakeholder besprochen. Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Welche Erkenntnisse mit neuen Anforderungen ergeben sich für den nächsten Abschnitt? In den Retrospektiven, die ebenfalls regelmäßig stattfinden, bewerten die Teams, was sie an Ihrer Arbeitsweise ändern können. Was läuft gut? Was kann noch verbessert werden? Wo haben wir Hindernisse, die aus dem Weg geräumt werden sollten? So ergibt sich ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess, der aus den agilen Frameworks heraus entstehen kann.

Leider erleben wir immer wieder die Situation, dass mit der Einführung von agilen Frameworks erst einmal Einiges in den Unternehmen schlechter läuft. Warum ist das so? Aus unserer Sicht liegt es auch daran, dass zwar viel in die Einführung von agilen Methoden und Tools investiert wird, aber die psychologischen Rahmenbedingungen unberücksichtigt bleiben oder zu wenig mitentwickelt werden. Dies betrifft sowohl die Mitarbeiter, aber auch im Besonderen, das Management. Es kann nicht einfach ein Schalter umgelegt werden, der alle Beteiligten dazu animiert, das gewünschte neue Verhalten “am nächsten Tag” anzuwenden.

Hilfreich für alle Beteiligten ist die Betrachtung der Haltung von Menschen sowie die Frage, welche Werte und Prinzipien sollen im neuen Setting gelebt und wie können diese weiterentwickelt werden?

 

Haltung von Menschen

Douglas McGregor (1906–1964), Management-Professor des MIT, stellt bereits in den Sechzigerjahren die Theorie X und Y auf. In der Theorie X beschreibt McGregor ein Menschenbild, welches geprägt ist durch einen faulen und arbeitsscheuen Menschen, der zur Arbeit gezwungen werden muss und bei dem alle Arbeitsergebnisse besser kontrolliert werden. Demgegenüber beschreibt er das Menschenbild Y mit Eigenschaften, die sich dadurch auszeichnen, dass Menschen eine intrinsische Motivation zur Arbeit haben. Mit einer hohen Selbstdisziplin und Selbstkontrolle, wenn sie nur einen sinnvollen Zweck erkennen können. Zudem zeigt er auf, dass Menschen Verantwortung übernehmen, kreativ sind und sich weiterentwickeln wollen, sofern das System, indem sie sich befinden, das auch zulässt.

Denn wir werden geprägt, durch die Systeme, in denen wir uns bewegen. Wir verhalten uns auch immer so, wie es vom System erwartet wird – Menschen sind nicht, Menschen verhalten sich!

Das Menschenbild beeinflusst die Haltung von Führungskräften. Diejenigen, die mehr an das Menschenbild X glauben, werden eher Aufgaben verteilen und sie kontrollieren. Die dazugehörigen Steuerungssysteme belohnen eher Einzelleistungen in Form von Boni und variablen Gehaltsanteilen. Zudem sind typische Kontrollsysteme vorhanden, wie jährliche Zielvereinbarungsgespräche mit Beurteilungen und Vorgaben für neue Ziele.

Diejenigen, die an das Menschenbild Y glauben, setzen viel mehr auf die Kreativität und Eigenverantwortung einzelner oder kompletter Teams. Sie vertrauen auf die intrinsische Motivation der Mitarbeiter und sehen sich eher als diejenigen, die am System arbeiten, immer wieder Hindernisse aus dem Weg räumen und kontinuierlich die Rahmenbedingungen von Mitarbeitern verbessern.

 

Die Selbsterfüllende Prophezeiung der Theorien X und Y

Die Anwendung der Theorien X und Y können sehr gut als sich selbst erfüllende Prophezeiungen betrachtet werden. Die Anwendung der Theorie X erfordert es, den Mitarbeitenden strenge Vorgaben zu machen und sie zu kontrollieren. Dies führt in den meisten Fällen zu einem passiven Arbeitsverhalten, was wiederum zu einer geringen Übernahme von Verantwortung und Engagement führt – so entsteht ein Teufelskreis zwischen Management und Angestellten, da dies die Annahmen der Theorie X bestätigt und ihre weitere Befolgung notwendig zu machen scheint.

Zum Glück gilt das auch analog für die Theorie Y, wie im nachfolgenden Diagram aufgezeigt wird.

Theorie Y sorgt für eine Rückkopplungsschleife

Die gute Nachricht an alle Unternehmenslenker und Führungskräfte lautet, sofern sie die Haltung Y verinnerlichen und leben, dass die Mitarbeiter mit immer mehr Engagement und Eigenverantwortung darauf reagieren werden.

 

Agile Werte

Kommt dazu noch die Ausarbeitung und Orientierung an Werten und Prinzipien, steht der kontinuierlichen agilen Entwicklung nichts mehr im Wege.

Wir arbeiten viel in und mit agilen Frameworks, die sich durch eindeutige Events, klare Rollen und Ergebnisse (sogenannte Artefakte) auszeichnen. Wichtige Grundlage sind die Werte und Prizipien, die gelebt werden sollten, damit sich die agile Arbeitsweise voll entfalten kann.

Die beschriebenen Werte sind nicht nur wichtig für die agilen Teams, sondern auch für alle Bereiche, zu denen die Teams Abhängigkeiten haben. Im weiteren Verlauf einer agilen Organisationsentwicklung kann das auch das gesamte Unternehmen mit einbeziehen.

Gerade zu Beginn einer Umstellung auf eine agile Arbeitsweise wird häufig zu wenig Fokus auf die Werte und Prinzipien gelegt, die auch immer die richtige Haltung im Inneren benötigen, um wirksam zu sein.

Besonders das Management steht hier vor großen Herausforderungen. Waren sie es doch immer, die in der Vergangenheit dafür gesorgt haben, dass die Themen “richtig” umgesetzt wurden. Und nun sollen das einfach selbstorganisierte Teams machen. Welche Aufgabe oder Rolle bleibt da für das Management übrig?

Richtig umgesetzt, sehr viel!

 

Fazit

Gerade das Management, welches häufig über viel Branchenerfahrung verfügt, sehr gut vernetzt ist und Prozesse und Strukturen kennt, kann der Multiplikator für erfolgreiche Veränderungen im Unternehmen sein. Mit einem neuen Verständnis von Leadership anstelle von Management, können echte Leader dafür sorgen, 

  • Hindernisse aus dem Weg zu räumen,
  • Abhängigkeiten zu verringern,
  • das agile System weiterzuentwickeln und
  • Teams und einzelne Mitglieder zu coachen und zu fördern.

Viele Unternehmen, die bereits mit einem bewußten Menschenbild Y das volle Potenzial aller Mitarbeiter erkennen und nutzen, haben aus meiner Sicht einen Wettbewerbsvorteil. Ich sehe bei diesen Unternehmen eine schnellere Reaktionszeit, eine höhere Innovationskraft und mehr Attraktivität für Menschen, dort zu arbeiten. Für mich ergibt das eine Win-Win-Win-Win-Situation, für den Unternehmer, alle Akteure im Außen (besonders Kunden, aber auch Partner und Lieferanten), die Mitarbeiter*innen und die Führungskräfte.

Über den Autor

Bernd Austinat ist Berater und Systemischer Coach mit dem Schwerpunkt auf der Organisationsentwicklung.

Basierend auf der Wunschvorstellung der Unternehmen erarbeitet er ein individuelles Entwicklungs-Programm, welches moderne Attribute in den Fokus stellt. Durch iterative Entwicklungsschritte wird dabei sichergestellt, dass Manager und Mitarbeiter den Wandel erleben, verstehen und begleiten wollen. 

Darüber hinaus ist er als Trainer und Coach rund um das Thema Team- und Leadershipentwicklung tätig. 

Anforderungsvermittler / Managing Consultant

Über den Autor

Profilbild des Mitarbeiter Bernd Austinat

Bernd Austinat ist Berater und Systemischer Coach mit dem Schwerpunkt auf der Organisationsentwicklung.

Basierend auf der Wunschvorstellung der Unternehmen erarbeitet er ein individuelles Entwicklungs-Programm, welches moderne Attribute in den Fokus stellt. Durch iterative Entwicklungsschritte wird dabei sichergestellt, dass Manager und Mitarbeiter den Wandel erleben, verstehen und begleiten wollen. 

Darüber hinaus ist er als Trainer und Coach rund um das Thema Team- und Leadershipentwicklung tätig. 

Anforderungsvermittler / Managing Consultant

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